Falsche Hoffnung – gefährliche Hoffnung.
Über das dünne Eis alternativer Therapien bei Krebs

Die Diagnose Krebs ist oft ein Schock und wird nicht selten als Todesurteil wahrgenommen, auch wenn viele Krebsarten heutzutage gut behandelbar sind. Da das Thema emotional so stark besetzt ist und die konventionelle Medizin mitunter als wenig einfühlsam gilt, können unseriöse Geschäftemacher und Scharlatane von Krebserkrankungen Betroffene viel leichter umwerben, als dies in anderen medizinischen Bereichen der Fall ist. Doch alternative Krebstherapien, anders als das Gros der komplementären oder integrativen Konzepte, sind ein gefährliches Pflaster.

Als Annette M. eines Tages beim Duschen eine Verhärtung der Brust bemerkt, spürt sie die nackte Angst. Ihre Mutter war vor Jahren an Krebs gestorben. Frau M. erinnert sich, welche Schmerzen ihre Mutter erleiden musste und wie viele Chemotherapien sie bis zum Ende über sich hatte ergehen lassen. Nein, niemals würde sie diesen Weg beschreiten! Beim Frauenarzt ging dann alles sehr schnell. Schon am nächsten Tag erfolgte eine Biopsie des Knotens, in den Tagen danach CT und Knochenszintigrafie. Bei der anschließenden Besprechung sagte der Frauenarzt, dass sie Glück im Unglück habe. Der Tumor sei relativ früh entdeckt worden, weniger als zwei Zentimeter groß, es bestünden exzellente Heilungschancen. Man würde zunächst den Tumor mittels Chemotherapie und Antikörpertherapie verkleinern, dann könne man brusterhaltend operieren, anschließend gebe es eine Nachbehandlung mit Bestrahlung und einer Antihormontherapie für einige Jahre. Bei den meisten Patientinnen in ihrer Situation würde nach einigen Jahren nur noch eine kleine Narbe an die Krankheit erinnern, so die fachärztliche Einschätzung.

Für Annette M. klang dies alles zwar sehr plausibel, aber sie hatte auch große Angst und wollte wissen, ob es Alternativen zu Operation und Chemotherapie gäbe. Bei Dr. Google wurde sie schnell fündig. Die Stichworte Alternative Therapie bei Krebs zeigten eine Reihe vermeintlich schonenderer Behandlungsmöglichkeiten. Eine alternative Krebstherapie hätte sogar zahlreiche Vorteile gegenüber der klassischen schulmedizinischen Behandlungsweise, konnte Frau M. auf mehreren Internetseiten nachlesen. Alternative Methoden könnten erfolgreiche Ergebnisse produzieren ohne die oftmals dramatischen Nebenwirkungen einer schulmedizinischen Therapie, z.B. Chemotherapie. Sie konnte lesen, dass man allein durch die Entsäuerung des Körpers und regelmäßige Einläufe mit Kaffee Krebs heilen könne. Auch seien Aprikosenkerne, homöopathische Therapien oder auch schonende Insulinbehandlungen geeignet Krebserkrankungen zu heilen, ohne dass konventionelle Medizin genutzt oder konventionelle Mediziner zu Rate gezogen werden müssten. Mittels einer zuckerfreien Diät könne Krebs einfach ausgehungert werden. Und ebenfalls häufig zu lesen: Die Ursache der Erkrankung müsse angegangen werden, Krebs sei oftmals nur Symptom eines psychischen Konfliktes.

Je tiefer sich Anette M. in die Materie hineinlas, desto besser verstand sie die Zusammenhänge. Sie erfuhr von der Krebsmafia, die wirksame alternative Therapieverfahren unterdrücke, damit weiterhin teure Chemotherapien verkauft werden können. Anette M. klickte sich von Link zu Link, besuchte beworbene Internetforen und tauchte immer tiefer ab in die informative Filterblase, in der sie ihren wachsenden Zweifel an der konventionellen Medizin mehr und mehr bestätigt fand. Schließlich verstand sie, warum ihre Mutter fast bis zu ihrem Lebensende Chemotherapie erhalten hatte. Annette M. war sich mittlerweile sicher: Ihre Mutter war nicht an Krebs, sondern an der Chemotherapie verstorben. Sie aber würde es anders machen und einen alternativen Weg gehen …

Wie kommt es patientenseits zu lebensbedrohlichen Fehlentscheidungen?

Etwas provokant formuliert: Es sind oft Fehler bzw. Unterlassungen seitens der behandelnden Ärzte, die Patienten dazu verleiten, sich für alternative und unter Umständen gefährliche Therapien zu entscheiden. Die Problematik ist bekannt, aber derart stark in das moderne Medizinsystem verwoben, dass die Ursachen nicht leicht auszuschalten sind.

Manchmal fängt das Dilemma bereits bei der Frage der Zuständigkeiten an: Welcher Arzt ist für den Patienten verantwortlich? Häufig müssen Patienten ihre Geschichte bei jedem Krankenhausaufenthalt einem anderen Arzt erzählen. Möglicherweise lebenswichtige Entscheidungen werden über anonyme Tumorboards getroffen. Das System ist durchaus sinnvoll, aber weit weg von einem persönlichen menschlichen Miteinander. Fehlende Empathie ist ein gewichtiges Problem in der modernen Medizin, zumindest aber eines, das darauf vorbereitet, sich mit existenziellen Situationen auseinanderzusetzen.

Weder lernen angehende Ärzte, wie man einem Patienten eine schwierige Diagnose beibringt, noch wie man auch in bedrohlichen Situationen Hoffnung vermittelt. Auch werden Ärzte nicht darin geschult, Ängste aktiv anzusprechen und mit ihnen umzugehen. So ist die Qualität der Kommunikation im Arzt-Patienten-Verhältnis meist abhängig vom zufälligen Talent des Arztes und seinen Erfahrungen. Die moderne Medizin kann auf Patienten in schwieriger Lage leicht anonym, kalt und gefühllos wirken, der kranke Mensch mit all seinen Hoffnungen und Ängsten fühlt sich mitunter auf seine Diagnose reduziert. Viele Alternativtherapeuten nutzen gezielt diese Furcht vor der sterilen Anonymität eines Krankenhauses und vermitteln ein Gefühl von „verstanden werden“ und Menschlichkeit (oder geben sich zumindest ein entsprechendes Image). Ein weiterer Aspekt, warum einige Ärzte ihre Patienten unbewusst Richtung Alternativmedizin beeinflussen, liegt schlicht im Mangel an Wissen begründet. Kenntnisse über alternative und komplementäre Therapien, über das Konzept der integrativen Medizin generell, werden im Studium und auch später in der Facharztausbildung faktisch nicht vermittelt. So können Ärzte vielfach nicht plausibel erklären, warum eine bestimmte alternative Therapie nicht wirksam oder gar gefährlich sein soll. Und häufig wissen Ärzte auch nicht, welche sinnvollen komplementären Verfahren angeboten werden können. Erprobte und erforschte komplementärmedizinische Maßnahmen werden dann achtlos in eine Reihe mit unseriösen Alternativverfahren gestellt – und alles gleichsam verurteilt. Es kommt auch vor, dass zwischen alternativ und komplementär gar nicht unterschieden wird, obwohl ersetzend etwas ganz anderes bedeutet als ergänzend. Die pauschale Ablehnung jeglicher komplementärmedizinischer Verfahren aber treibt hilfesuchende Patienten geradezu in die Hände charismatischer Heilsversprecher. Diese verstehen sich in der Regel gut darauf, gezielte Fehlinformationen über ihre Alternativmethode zu streuen und zugleich andere (konventionelle oder komplementäre) Behandlungsmethoden schlecht zu reden. Die im Folgenden aufgelisteten Scheinargumente finden sich häufig in der einen oder anderen Formulierung auf den Internetseiten, den Broschüren oder Büchern von unseriösen Alternativmedizinern, vor denen ich mit diesem Aufsatz warnen möchte:

  • Krebs solle man nicht operieren, denn wenn Luft an den Tumor komme, so führe das zur Metastasenbildung.
  • Das gefährlichste am Krebs sei die Chemotherapie, die meisten Patienten würden aufgrund dieser Therapieform versterben.
  • Die mächtige Pharmaindustrie unterdrücke wirksame natürliche Krebstherapien. (Derlei Verschwörungstheorien finden sich besonders häufig bei teuren Therapien ohne Wirkungsnachweis.)
  • Kontrolluntersuchungen seien schädlich und fördern das Krebswachstum etwa durch Strahlenbelastung beim Röntgen. (Mit diesem Argument können unwirksame Therapien besonders lange verkauft werden, da die Unwirksamkeit nicht diagnostisch erfasst wird).
  • Tumorwachstum bedeute ein Ansprechen der Therapie durch „Entzündungsvorgänge“. Wenn die Haut aufplatze und der Tumor „herauskomme“, dann sei das ein gutes Zeichen. Auch zunehmende Schmerzen zeigen einen günstigen „Entzündungsprozess“. Die Therapie müsse daher weitergeführt werden.
  • Krebs sei allein ein Problem der falschen Ernährung. Zucker und Kohlenhydrate wegzulassen bzw. eine bestimmte Form von Diät einzuhalten, reiche völlig aus, um Tumorzellen absterben zu lassen. (Dass Krebs allein ein Problem der falschen Ernährung sei, ist nachweislich falsch; eine fundierte Ernährungsberatung kann bei bestimmten Krebserkrankungen aber eine sinnvolle komplementäre Maßnahme darstellen).
  • Wenn man gesund werden will, so muss man sein Leben, seine Ernährung etc. radikal umstellen. Keinesfalls aber dürfe man Therapien machen, die den Körper weiter vergiften wie Operation, Bestrahlung oder Chemotherapie.
  • Es gäbe gar keinen Krebs. Krebs sei nur ein Symptom und Ausdruck eines psychologischen Konflikts. Wenn dieser Konflikt aufgelöst werde, so verschwinde auch der Krebs wieder.
  • Krebserkrankungen können durch geistige, göttliche oder kosmische Energien geheilt werden, die gegen Gebühr beim Wunderheiler zu kaufen sind.

Die falsche Wahl: Wie unseriöse alternative Therapieverfahren zu erkennen sind

Mittlerweile gibt es zahlreiche Untersuchungen, die belegen, dass Krebspatienten, die sich allein auf alternativmedizinische Maßnahmen verlassen und keine konventionellen Therapien nutzen, ein höheres Risiko haben, an ihrer Erkrankung zu sterben.1 Diese Studien werden von Anbietern alternativer Therapien natürlich nicht zitiert. Und sicher gibt es auch tatsächlich Patienten, die trotz alternativer Therapien keine verkürzte Lebenserwartung haben und manchmal sogar eine bessere Lebensqualität, da ihnen die Nebenwirkungen konventioneller Therapien erspart bleiben. Es gibt auch zweifelsfrei das Phänomen der Spontanheilung, nur ist es statistisch betrachtet sehr unwahrscheinlich; man sollte sich somit nicht darauf verlassen.

Bei der Diagnosestellung Krebs geraten viele Menschen in einen Schockzustand, der dem Gefühl einer lähmenden Ohnmacht entspricht. Es fällt schwer, klare Gedanken zu fassen, alles ist überlagert von Angst. Quälende Gedanken über die eigene Zukunft, die Zukunft der Familie und über die wirtschaftlichen Folgen der Erkrankung lassen Betroffene oft nicht mehr zur Ruhe kommen. Konfrontiert mit einer ernsten und möglicherweise todbringenden Diagnose neigt der Mensch dazu nach positiveren Szenarien zu suchen. Dies, scheint mir, ist eine typisch menschliche Eigenschaft: Hoffnung. Das bekannte Sprichwort: Die Hoffnung stirbt zuletzt besagt, dass am Prinzip Hoffnung auch bei negativer und negativster Entwicklung festgehalten wird.

Trifft ein Patient in einer Situation von Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht auf einen charismatischen Alternativtherapeuten, so wird es ihm in der Regel schon nach dem ersten Gespräch deutlich besser gehen. Die Mutlosigkeit des Diagnoseschocks weicht der Hoffnung, es gäbe eine Heilungschance. Der Patient will glauben, dass er wieder gesund wird und neigt dazu jenem zu folgen, der dies verspricht. Hoffnung ist häufig stärker als Zweifel. Mit aller Energie stürzt sich der Patient nun auf die neue Therapie, Therapiepläne werden akribisch umgesetzt: Man kann etwas tun, selbst zur Heilung beitragen.

Fast immer folgt irgendwann der Rückfall in die Realität, die Erkrankung ist weiter progredient. Hoffnung und Vertrauen sind dann zwar dahin, aber eine Rückkehr zur Schulmedizin findet oft dennoch nicht statt, sei es, dass die Erkrankung weit fortgeschritten ist, sei es, dass die Scham, auf einen Quacksalber reingefallen zu sein, zu groß ist.

Im Gegensatz zum Scharlatan bemüht sich der normale konventionelle Arzt um eine möglichst korrekte Aufklärung des Patienten. Diesem wird bei der Diagnoseverkündung ein krankheitstypisches Szenario entworfen, das sich an Erkenntnissen und statistischen Daten orientiert. Patienten mit metastasierter Erkrankung wird oft mehr oder weniger schonungslos dargelegt, dass eine Heilungschance nicht besteht. Oft wird auch eine mögliche Lebenserwartung angegeben, die sich in Monaten oder wenigen Jahren bemisst, manchmal sogar mit dem Zusatz: „Mit Therapie ein paar Monate länger.“ Wenn Patienten dann fragen, was sie sonst noch tun können, so folgen manchmal desillusionierende Antworten: „Machen Sie noch eine Reise“ oder „Bringen Sie Ihre Angelegenheiten in Ordnung!“. Für Betroffene bleibt oft nur das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht. Menschen mit einer möglicherweise todbringenden Diagnose wollen sich aber aufgefangen und sicher fühlen. Seinen Patienten nur Statistiken vorzulegen, muss nicht der einzige Weg für ein ehrliches Gespräch sein; auch in der Schulmedizin gibt es immer die Hoffnung auf einen besonders guten Verlauf, vielleicht sogar auf ein Wunder. Jeder Onkologe kennt solche Fälle.

Beim unseriösen Alternativtherapeuten spielen statistische Daten in der Regel gar keine Rolle. Häufig wird mit viel Empathie auf die individuelle Situation des Patienten eingegangen und so eine Vertrauensbasis hergestellt. Je nach konkreter Ausrichtung des Alternativtherapieanbieters werden etwa Zweifel an der schulmedizinischen Diagnose oder den vorgeschlagenen Therapien geschürt und Programme vorgestellt, die angeblich wirksamer, schonender und fast garantiert heilbringend sind. Dankesschreiben anderer Patienten werden ebenfalls oft gezeigt. Hoffnungslosigkeit wird so beseitigt. Man müsse nur das jeweilige Programm korrekt durchführen, dann habe man auch Erfolg.

Beispiele für unwirksame Therapieverfahren

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit folgt eine Auflistung gängiger alternativmedizinischer Verfahren, die als unseriöser, unwirksamer, mitunter auch hochgefährlicher Behandlungsersatz demaskiert wurden, sich aber dennoch einer gewissen Verbreitung erfreuen.

Amygdalin – Das nicht-existente Vitamin B17

Vitamin B17, ein Extrakt aus Aprikosenkernen, soll Krebs heilen können? Hier steckt ein Betrug bereits im Namen: Ein echtes Vitamin B17 gibt es nicht, Amygdalin ist kein Vitamin, sondern ein sekundärer Pflanzeninhaltsstoff, der in Aprikosenkernen, Bittermandeln und in geringerer Menge auch in Apfelkernen vorkommt. Manche Patienten kauen bis zu 60 Aprikosenkerne täglich oder lassen sich Vitamin B17-Infusionslö- sungen verabreichen. Die Substanz hat eine jahrzehntelange Geschichte, sie wurde ursprünglich Laetrile genannt und in den USA angeboten. Vor der Entwicklung moderner Krebstherapien galt sie als Wunderwaffe gegen Krebs. Tatsächlich enthält die Substanz eine inaktive Blausäureform, die durch enzymatischen Einfluss in Blausäure zerfällt. Gesunden Zellen schadet dies nicht, Krebszellen schon. So die Theorie. Eine verlässliche Wirksamkeit konnte jedoch in Studien niemals bewiesen werden. Allerdings haben Forscher der Uniklinik Frankfurt 2014 einen möglichen Wirkmechanismus entdeckt: In Laborexperimenten konnte gezeigt werden, dass bestimmte Eiweiße, die im Zellwachstum regulierend eingebunden sind, durch Amygdalin verändert werden und dadurch das Wachstum isolierter Tumorzellen hemmen können.2 Auf der anderen Seite sind schädliche Wirkungen durch die in Aprikosenkernen enthaltene Blausäure belegt. In den USA wurde die Substanz bereits vor vielen Jahren verboten, lebt aber im Untergrund weiter. Mitunter berechnen unseriöse Alternativmediziner bis zu 5.000 Euro pro Monat für die Aprikosenkernextrakte.

Hulda-Clark-Therapie – Den Krebs wegzappen

Anhänger dieser „Therapieform“ sehen stets Parasiten als Ursache für schwere Erkrankungen. Krebs etwa werde meist durch den Darmegel Fasciolopsis buski ausgelöst. Durch Verzicht auf ätherische Öle wie in Kosmetika und vor allem durch mehrmaliges tägliches Zappen mit einem Gerät, bestehend aus zwei Metallgriffen, die mit einem kleinen schwarzen Kasten mit Batterien verbunden sind, werde der Krebs angeblich geheilt. Die Hulda-Clark-Theorie ist absurd und die -Therapie absolut wirkungslos, aber immerhin nicht direkt schädlich. Es kann aber sehr wohl ein Schaden entstehen, wenn sie anstelle einer nutzbringenden Therapie eingesetzt wird und es so zu Therapieverzögerung kommt. Dies gilt naturgemäß für alle alternativen Therapieverfahren in der Krebsbehandlung.

Die Gerson-Methode – Durch Kaffeeeinläufe Krebs heilen

Der deutsche Arzt Max Gerson beschrieb in seinem Buch, verfasst in einer Ära vor Entwicklung der modernen Krebstherapie, fünfzig Fälle von Heilung mit einer vorwiegend veganen, niedrig kalorischen Diät und reichlich Gemüsesäften, frisch gepressten Kalbslebersäften und Kaffeeeinläufen alle zwei Stunden, Tag und Nacht. Das Original erschien 1958, vor drei Jahren wurde die Neuauflage gedruckt.3 Bei Durchsicht des Buches fällt auf, dass in der Originalausgabe kaum klassifizierbare Krebsarten unter den geheilten Patienten zu finden sind. Meist waren es unspezifische Wucherungen, die als Krebs beschrieben wurden. Auch häufigere Krebsarten wie Lungenkrebs, Darmkrebs oder Brustkrebs kommen praktisch nicht vor. (Damals gab es noch keine zuverlässige Pathologie, die Krebs genau klassifizieren konnte.) Patienten nehmen infolge dieser Behandlung oft zehn bis fünfzehn Kilogramm ab. Die Lebensqualität ist aufgrund der therapiebedingten Einschränkungen häufig reduziert. Die Therapie ist nicht wirksam. Bei Krankheitsprogress trifft die Krankheit auf einen geschwächten Körper.

Die Schwarze Salbe – Den Krebs herausätzen

Die sogenannte „Schwarze Salbe“ enthält ätzende Substanzen, die die obersten Hautschichten auflösen und regelmäßig auch zu Geschwüren führen. Es wird fälschlich behauptet, die Salbe habe auch eine diagnostische Wirkung. Nur wenn ein Knoten, den man taste, wirklich Krebs sei, komme es zu einem Geschwür, mittels der Salbe werde der Tumor „herausgezogen“ und der Mensch sei geheilt. Eine Biopsie sei damit gar nicht erforderlich. Die Therapie ist unwirksam und gefährlich. Patienten, die dieses Verfahren versuchen, leiden oft unter Schmerzen, Blutungen und Infektionen im entstehenden Wundgebiet. In einem extremen Fall (bei einem Hauttumor am Kopf) hatte sich die Salbe durch die Haut und durch die Knochen bis ins Gehirn durchgeätzt. Der Patient kam mit einem großen Loch in der Schädeldecke, der Hauttumor war am Rand des Lochs bis in das Gehirn gewachsen; der vermutlich weltweit erste Fall, wo ein Hauttumor direkt ins Gehirn einwachsen konnte.

Miracle Mineral Supplement – Chlorbleiche

Miracle Mineral Supplement ist ein fantasievoller Name für Chlorbleiche, das in der Industrie etwa als Desinfektionsmittel Einsatz findet. Die Anhänger der Therapie postulieren, die innerliche Einnahme könne eine Vielzahl schwerer Erkrankungen heilen, unter anderem auch Krebs. Belege für diese Behauptung gibt es bislang keine. Das BfArM warnt vor Verätzungen des Magen-Darm-Trakts bei innerlicher Anwendung. Auch die Intestinalflora kann bei Einnahme Schaden nehmen, da die Substanz unspezifisch alle Mikroben abtötet, auch die nutzbringenden.

Antineoplastone – Teure Geheimmittel gegen Krebs

Ein Arzt aus den USA bewirbt seit vielen Jahren eine Therapie mit Antineoplastonen, einem selbst entwickelten Anti-Krebsmittel bestehend aus diversen Peptidgruppen und Derivaten, die gespritzt werden müssen. Die Zusammensetzung wird nicht verraten; angeblich da die Pharmaindustrie das Mittel ansonsten patentieren und verschwinden lassen würde. Das Mittel wird mit verschiedenen (sehr teuren) Immuntherapien kombiniert eingesetzt. Die Behandlungskosten bei einem solchen Programm liegen bei bis zu 50.000 Euro pro Monat. Allein die Neoplastone kosten in etwa 25.000 Euro im Monat. Kauft man allerdings drei Anwendungen, bekommt man eine vierte gratis. Der Nutzen der Antineoplastone ist nicht belegt, die Therapie gilt als Nonsens.4 Nebenwirkungen aufgrund der unkontrollierten Gemische sind häufig.

Radikaldiäten – Den Krebs aushungern

Die meisten Anbieter extremer Diäten berufen sich auf die sogenannte Warburg-Hypothese, eine 1931 mit dem Nobelpreis belohnte Untersuchung, die zeigte, dass Krebszellen Glukose ohne Sauerstoffzufuhr verwerten. Die Schlussfolgerung hieraus ist, dass man durch radikalen Verzicht auf Zucker und Kohlenhydrate den Krebs aushungern könne. Im Extremfall geschieht dies etwa in Form der Breuss-Kur, einem 42-tägigen strengen Saftfasten. Aber auch Diät Varianten wie die Gerson-Diät oder die ketogene Ernährung behaupten Heilungserfolge mit diesem Ansatz. Radikale Diäten scheinen generell nicht wirksam zu sein; keinesfalls sollten sie als alleinige Alternativtherapie genutzt werden. Zum einen gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass Krebszellen sich auch anderer Stoffwechselmechanismen bedienen können, um ihren Energiebedarf zu decken. Zum anderen lassen sich zuckerarme Zustände wie im Reagenzglas im wirklichen Leben nicht herstellen. Fällt der Blutzuckerspiegel zu tief, so kann das Gehirn nicht mehr arbeiten und der Patient fällt ins Koma. Das PET/CT, bei dem radioaktiv markierte Glukoselösung gespritzt wird, zeigt deutlich, dass sich auch im nüchternen Zustand Tumore (neben Gehirn und Herzmuskel) zuerst aus dem normalen Blutzuckerspiegel bedienen. Für Patienten bedeuten solche Diäten oft eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität und einen Verlust an Energie. Auf die Krebsbehandlung angepasste (moderate) Diäten können allerdings als komplementäre Maßnahme Wirkung entfalten und eine Therapie sinnvoll unterstützen.

Neue Germanische Medizin – Alles nur Symptom

Aufgrund von Visionen, die den deutschen Arzt Ryke Hamer in Träumen überkamen, verfocht dieser die These, jeder Krebs heile sich durch Aufhebung psychischer Konfliktsituationen von selbst. Gelinge es nicht, die inneren Konflikte zu lösen, so könne der Krebs auch nicht geheilt werden. Noch zu Lebzeiten verlor Hamer seine Approbation aufgrund spektakulärer Fehltherapien mit zahlreichen Todesfällen, zudem unterlag er in mehreren Gerichtsprozessen und saß wegen Betrugs und der illegalen Ausübung einer medizinischen Tätigkeit mehrere Jahre im Gefängnis. Die „Neue Germanische Medizin“ ist als theoretisches Konzept unsinnig und als medizinische Therapie nachweislich unwirksam. Dennoch gibt es noch immer Therapeuten, die Hamers krude Lehre weiter verbreiten.

Gottesurteile – Krebs heilen mit der Kraft der Gedanken

Das Feld der Wunderheiler ist breit. Viele wirken im Verborgenen, die Reklame erfolgt über Mundpropaganda. Es gibt aber auch einige besondere Exemplare, die mit viel Getöse die Öffentlichkeit suchen. So etwa ein Energieheiler aus den USA, der seinen eigenenForum Komplementäre Onkologie / Immunologie 7 OnkOlOgie Angaben zufolge den Weltrekord im Krebsheilen hält. Nur durch Handauflegen werde die Tumor-DNA zerstört. Die Vorauszahlung für diese Therapie beträgt rund 5.000 Euro. In Brasilien gibt es etwa den selbsternannten Wunderheiler João de Deus. Er könne, gegen Gebühr, die Heilung durch Gott vermitteln und auch, gegen eine höhere Gebühr, eine Art „Operation“ durchführen; dabei kann der Erkrankte auch einen Stellvertreter schicken, der an seiner statt operiert wird. Viele Patienten pilgern seinetwegen nach Brasilien, andere suchen Veranstaltungen mit ihm in Europa auf. João de Deus ist dank seines Talents zur Selbstvermarktung einer der weltweit bekanntesten Scharlatane.

Vitamine – Mit Vitamincocktails gegen den Krebs

Zu einer gewissen Bekanntheit hat es der deutsche Arzt Dr. Matthias Rath gebracht, der die konventionelle Krebstherapie ablehnt und stattdessen die sogenannte Zellularmedizin als Krebsbehandlung propagiert. Dabei kommen vor allem hochdosierte Vitaminprä- parate zur Anwendung. Das propagierte Heilverfahren hat sich in wissenschaftlichen Studien als wirkungslos erwiesen. Rath ist entschiedener Gegner der modernen Pharmaindustrie, der er Völkermord aus Profitgier vorwirft. Nach eigenen Angaben arbeitet das Dr. Rath Forschungsinstitut in Kalifornien derzeit an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Krebs.5

Sammelsurien ungeprüfter Therapien

Das Buch Chemotherapie heilt Krebs und die Erde ist eine Scheibe: Enzyklopädie der unkonventionellen Krebstherapie ist als Ratgeber für Krebspatienten konzipiert und steht stellvertretend für zahlreiche Werke dieser Art. Mit provokanten Formulierungen konterkariert der Autor das Streben der modernen Medizin nach überprüfbaren Therapieergebnissen. Zugleich lobt er eine Reihe alternativer, vielfach nicht wirksamer Therapien in den höchsten Tönen. Eine kritische Bewertung der vorgestellten Verfahren gibt es dabei nicht. Praktisch: Das Therapiezentrum des Autors bietet einen Teil der Verfahren direkt an. Die Lektüre des Buches ist für Patienten nicht von Nutzen, für Ärzte jedoch durchaus, um eine Übersicht zu erhalten, mit welchen Behauptungen und Versprechungen Patienten in die Irre geführt werden.

Ganzheitlichkeit in der schulmedizinischen Therapie

Äußerungen und Beiträge von klassischen Schulmedizinern erzeugen in ihrer Summe den Eindruck, die moderne Medizin führe einen Krieg gegen den Krebs. Der 1971 von Richard Nixon ausgerufene war against cancer ist längst sprichwörtlich geworden und hat das kollektive Verständnis geprägt. So werden etwa Nebenwirkungen konventioneller Behandlungen wie der Chemotherapie oft dargestellt, als handle es sich um Kollateralschäden einer Kriegshandlung. Diese Betrachtung sollte kritisch hinterfragt werden, kann sie doch auch zu Lasten der Patienten gehen.

Eine ganzheitliche Betrachtungsweise seitens des Arztes mit konsequenter Unterstützung des Patienten und seiner gesunden Organsysteme in der Belastungsphase durch Krankheit und aggressive Therapien wäre ein für alle Seiten lohnendes Ziel, unterbleibt aber meist vollständig. Es gibt eine lange Reihe gut untersuchter Therapieverfahren der Komplementärmedizin. Diese umfassen unter anderem eine gesundheitsorientierte, krankheitsangepasste Ernährung, sportliche Betätigung, auch Substitutionen mit Vitaminen und Mineralien sowie ein breites Spektrum immunmodulierender Therapien. Die ganzheitliche biologische Krebstherapie ruht auf den Säulen: Regulation des Stoffwechsels, Stärkung des Immunsystems, körperliche Aktivierung und psychische Stabilisierung.6

Erfreulicherweise erhalten komplementäre Therapieverfahren immer häufiger Raum auf onkologischen Kongressen oder in Fachzeitschriften. Dadurch gelingt auch die Abgrenzung zu den nutzlosen bis gefährlichen Alternativverfahren besser. Eine wirkliche Alternative zur konventionellen Medizin ist seitens der Patienten ohnehin oft gar nicht primär gewünscht. Die meisten Patienten wünschen sich unserer Erfahrung nach ein ganzheitliches Therapieangebot, wobei auch eingreifende schulmedizinische Verfahren akzeptiert werden. Ergänzende Maßnahmen sprechen den Patienten häufig auf einer individuellen Ebene an, können passgenau auf die Erkrankung und die Lebensumstände des Patienten personalisiert werden und den Therapieverlauf positiv beeinflussen bzw. positiv bestimmen. Entscheidet sich ein Patient für komplementärmedizinische Maßnahmen, sollte auch der konventionelle Onkologe anbieten, seinen Patienten auf diesem Wege zu begleiten und den Therapieverlauf regelmäßig zu kontrollieren.

Die Zukunft der Medizin ist – im Sinne der Integrativen Medizin – eine gemeinsame, sie ist erfahrungs- wie evidenzbasiert und berücksichtigt die Individualität des Menschen. Selbsternannte Wunderheiler und Scharlatane gehören von dieser Zukunft ausgesperrt.

 

Quellen

1 Johnson SB, Park HS, Gross CP et al.: Complementary Medicine, Refusal of Conventional Cancer Therapy, and Survival Among Patients With Curable Cancers. JAMA Oncol. 2018 Oct 1;4(10):1375-1381
2 Makarevic´ J, Rutz J et al. (2014): Amygdalin Influences Bladder Cancer Cell Adhesion and Invasion In Vitro. PLoS ONE 9(10): e110244
3 Gerson M: Eine Krebstherapie 50 Fälle: 30 Jahre klinische Erfahrung in der Behandlung fortgeschrittener Krebsfälle durch Diät-Therapie. AKSE-Verlag 2016. (Original von 1958: A Cancer Therapy – Results of 50 Cases.
4 Figg WD: Antineoplastons: When is enough enough? Lancet Oncol. 2018;19(6):733-734
5. vgl. www.dr-rath-foundation.org
6 vgl. Homepage der Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr: www.biokrebs.de/therapien

Die Fachzeitschrift Die Naturheilkunde publizierte in ihrer Ausgabe 01/2019 diesen Artikel von Prof. Dr. Herzog.